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Kooperationspflichten im Lebensmittelrecht: BGH setzt neue Maßstäbe

Entscheidung des BGH definiert Grenzen der Amtsermittlungspflicht und stärkt Mitwirkungsverantwortung der Unternehmen im Lebensmittelrecht


19.02.2025

Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil vom 19. Dezember 2024 (Az. III ZR 24/23) die Pflichten von Lebensmittelunternehmern bei behördlichen Produktwarnungen präzisiert. Die Entscheidung verdeutlicht die Grenzen der Amtsermittlungspflicht und stärkt die Kooperationsverantwortung der Unternehmen.

Der Ausgangssachverhalt

Der Fall betraf die insolvente S-Gesellschaft für Wurst- und Schinkenspezialitäten mbH. Nach dem Fund von Listerien in deren Produkten und einem damit in Verbindung stehenden Erkrankungs-Cluster erfolgten 2016 eine öffentliche Warnung sowie ein umfassender Produktrückruf. Der Insolvenzverwalter machte daraufhin Schadensersatzansprüche gegen den Freistaat Bayern geltend. Er argumentierte, die Warnung habe auch nachpasteurisierte, unbedenkliche Produkte umfasst.

Die rechtliche Bewertung des BGH

In seiner Urteilsbegründung arbeitet der BGH das im Lebensmittelrecht bestehende Kooperationsverhältnis zwischen Unternehmern und Behörden heraus. Dieses Verhältnis ist geprägt von wechselseitigen Pflichten:

Die Behörden müssen nicht "ins Blaue hinein" ermitteln, wenn keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen. Die Amtsermittlungspflicht endet dort, wo spezifische Informationen ausschließlich in der Unternehmenssphäre liegen. Im konkreten Fall hätte die S-GmbH eigeninitiativ auf die Unbedenklichkeit nachpasteurisierter Produkte hinweisen müssen.

Die Richter stützen ihre Argumentation auf Art. 19 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, der Unternehmen explizit zur Zusammenarbeit mit den Behörden bei der Risikominimierung verpflichtet.

Praxisrelevanz der Entscheidung

Das Urteil hat weitreichende Konsequenzen für die lebensmittelrechtliche Praxis:

Unternehmen müssen ihre internen Prozesse und Dokumentationen - insbesondere HACCP-Analysen - akribisch führen. Bei behördlichen Maßnahmen sind sie zur proaktiven Informationsbereitstellung verpflichtet. Die Behörden wiederum können sich auf diese Mitwirkungspflichten berufen, ohne dabei ihre grundsätzliche Ermittlungsverantwortung zu vernachlässigen.

Rechtliche Einordnung

Die BGH-Entscheidung schafft einen ausgewogenen Ausgleich zwischen effektivem Verbraucherschutz und unternehmerischer Verantwortung. Sie konkretisiert die Grenzen behördlicher Ermittlungspflichten und betont gleichzeitig die aktive Rolle der Unternehmen bei der Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit. Diese Klarstellung dient sowohl dem Verbraucherschutz als auch der Rechtssicherheit der beteiligten Akteure.